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Mut statt Angst - Teil 2 Kapitel 2

Globalisierung und Reisen

 

Eine jede Person hat derzeit verschiedene Sorgen und Hoffnungen was die Auswirkungen der Pandemie auf die Gesellschaft für Spuren hinterlässt. Dazu fällt auch die Frage, ob wir, wenn wir alles wieder „dürfen“ dann erst recht über die Stränge schlagen;  noch mehr Flugreisen buchen, noch mehr Autos produzieren, noch größere Massenevents entwerfen usw…

 

Ein Bio-Landwirt der etwas älteren Generation hofft zum Beispiel darauf, dass die Leute sich wieder mehr auf ihr unmittelbares Lebensumfeld fokussieren können und es viele nicht andauernd so weit wegtreibt. Als Landwirt ist diesem Wunsch natürlich auch inhärent, dass Lebensmittel aus regionalen und ökologischen Quellen bezogen werden und ein bewussterer Konsum heimischer Nahrungsmittel stattfindet. Dennoch schwingen darin auch Grundbedenken mit, dass die Globalisierung eben nicht nur Vorteile in die Welt gebracht hat. Dies lässt auch mich nachdenken.

 

Seit ich das Teenageralter erreicht hatte wollte ich nur noch weg und dem Ort wo ich lebte entfliehen. Nach ein paar Jugendreisen nach Skandinavien hatte mich das Reisefieber endgültig gepackt und mit 17 träumte ich dann hemmungslos von Neuseeland und befreundete mich mit Menschen aus aller Welt bei internationalen Workcamps. In einer globalisierten Welt, die sich auf vielfältigste Arten vernetzen kann ist dies alles möglich. Und so flog ich auch tatsächlich nach einigen Jahren des Wartens für 6 Monate auf die andere Seite der Welt und hielt internationale Kontakte, die ich zum Teil besuchen ging. Ich möchte alle jene Begegnungen wirklich nicht missen, die mich in meiner persönlichen Entwicklung weitergebracht haben. 

 

Auch ganz aktuell bin ich wieder auf Reisen gewesen in Frankreich, Spanien und Portugal. Doch ich gehe dabei sehr kritisch mit meinen eigenen Handlungen um. Es ist spannend zu verfolgen, dass ich während des Reisens recht schnell zu merken begann, dass ich kein größeres Interesse daran hatte, den Ort nur zu streifen. Tiefere Begegnung und Verbundenheit zu einem Ort und den dort lebenden Menschen entsteht eben nur mit Zeit. Natürlich kann man von allen möglichen Landschaften begeistert sein, aber auch dies wird irgendwann zu einem Stück Alltag. Das Bedürfnis entwickelte sich also mehr zu einem, dass Wurzel schlagen gut findet statt einem Getrieben sein auf der Suche nach immer neuen Bildern. Ich habe um mich herum gesehen, wie viel Bewegung auf diesem bis dahin grenzenlosen Kontinent stattfindet und wie normal es offenbar für einen Großteil der deutschen Rentner_innen ist mit dem Wohnmobil den Winter am Mittelmeer zu verbringen.

 

Immerhin sind Wohnmobile aber immer noch klimafreundlicher als unsere Flugreisen. Ich habe eine der längstmöglichen Flugreisen unternommen und deswegen immer noch ein schlechtes Gewissen. Und dass obwohl ich wenigstens monatelang am Ziel blieb und nicht nach 3 Wochen wieder heimkehrte. Ich frage mich ob diese starke Gewissensstimme nicht für jede/n von uns ganz gut wäre, um zumindest zu zögern und innezuhalten. Oft habe ich auch den Eindruck, dass Menschen nur deswegen unbedingt zweimal im Jahr eine Fernreise zu einer weit abgelegen Strandliege machen, weil sie es nicht mehr schaffen sich an ihrem Lebensort zu entspannen oder glücklich zu sein. Die Phase der Glückseligkeit wird abgesteckt auf zwei Wochen und penibel separiert vom Rest des Lebens. Ich sage nicht, dass das grundsätzlich nicht ok ist, aber wenn es immer nur eine Flucht ist, weil man es im normalen Leben kaum noch aushält, dann ist es sehr traurig was unser Alltag uns antut und dass wir nur zufrieden sein können, wenn wir mit All-Inclusive für 2 Wochen in die Karibik fliegen oder die Hochzeit auf Bali feiern, in der Hoffnung die Ehe würde dadurch länger halten.  

 

Vermutlich steckt dahinter mal wieder ein sehr hohes Ideal von vernünftiger und eigenverantwortlicher Handlung, kombiniert mit einer Fähigkeit Maß zu halten. Doch auch andere Menschen treibt dieses Thema, vor allem die Flugreisen, um. Es waren mal wieder die Schweden, die einen neuen Begriff dafür erfanden: Flugscham (schwedisch: flygskam). Dort erklärten einige Geschäftsreisende zum Ziel, Dienstreisen im Inland nicht mehr per Flugzeug zu unternehmen. Scham ist normalerweise ein verpöntes Gefühl. Doch in diesem Zusammenhang fände ich es toll, wenn sich ein grundsätzliches Schämen in unsere Gedanken für das nächste Urlaubsziel mischt und diese damit wachrüttelt.

 

Was wird letztendlich aus #wirbleibenzuhause? Lernen wir unser zu Hause neu kennen und lieben oder trägt es uns dann erst Recht wieder in die Welt hinaus bis das Klima so geschädigt ist, dass wir unfreiwillig unser Zuhause verlassen müssen, da der Lebensraum zerstört ist.

 

Ich selbst habe gerade (subjektiv empfunden) kein Zuhause und dies ist eine spannende Situation, da mein Wunsch zurzeit immer stärker wird, eines zu finden – anzukommen und zu bleiben. Das Dilemma aus der Entscheidung zwischen sicherlich immer wieder aufkeimenden Fernweh und Umweltbewusstsein wird mich aber sicherlich noch lange beschäftigen.   

 

Link:

 

Flugscham

https://de.myclimate.org/de/informieren/faq/faq-detail/detail/News/was-versteht-man-unter-flugscham/#

(Stand 18.04.20)

 

 

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