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Demo auf dem Land

 

Intro

Freitag der 24.09.2021 – es steigt kurz vor der Bundestagswahl und im Zusammenhang mit dem globalen Klimastreik eine Fridays for Futur (FFF) Demo in Fritzlar, der Kleinstadt in der ich geboren wurde. Dorthin gibt es eine Zubringerdemo mit dem Fahrrad von Homberg/Efze, wo ich 9 Jahre zur Schule ging. Der Protest ist auf dem Land angekommen und ich war endlich mal wieder auf der Straße! Doch von vorn:

 

 

Meine letzte Demo ist gut zweieinhalb Jahre her (damals war es zum Weltfrauentag in Barcelona – der Bericht findet sich auch im „Weltenmosaik“ meines Blogs). Damals war ich völlig ergriffen von der Dimension dieser Demonstration – und lief mit offenem Mund durch die Millionenstadt, zehn- bis hunderttausende Menschen um mich herum. Dieses Mal bin ich auch ergriffen und das, obwohl die Orgaleute „nur“ ca.280 Teilnehmende zählten. Vielleicht war ich so bewegt, weil es lange her war, dass ich auf der Straße etwas skandierte und den Leuten ein Schild vor die Nase hielt. Vielleicht war es auch der Tatsache enthoben, dass ich mich die letzten Monate hauptsächlich in sehr speziellen, pionierhaften Erfahrungsräumen für Gefühls- und Körperarbeit aufgehalten habe und seit meinem Besuch des Move Utopia Festivals vor ein paar Tagen - und damit einhergehendem Kontakt zu Menschen aus der Aktivisti-Szene -, so richtig Bock hatte, auch mal wieder in die Öffentlichkeit zu gehen. Vielleicht kam es auch daher, dass ich es einfach schön fand, in meiner ländlichen Heimat mit Polizeieskorte die Bundesstraße zu blockieren – denn sowas passiert hier einfach nicht oft und mein Gehirn hatte zunächst Mühe das Setting „Demonstration“ mit links und rechts befindlichen Kohl- und Rübenfeldern statt Hochhäusern zu verbinden.

 

 

Kritisches vorweg

 

Ich gebe zu, ich war noch nie auf einer FFF Demo und ich habe noch weit mehr Forderungen an die Gesellschaft als die, die gestern gerufen und benannt wurden. Diese auf ein kleines Schild zu packen, war gar nicht so einfach. Ich wollte mich, zwecks Setting der Veranstaltung, auf das Klima beziehen aber einschließen, dass ich darüber hinaus für einen ganzheitlichen sowie gesamtgesellschaftlichen Wandel eintrete, der sich auf alle wichtigen Bereiche (Ökologie, Soziales, Ökonomie und Kultur) bezieht. Mach Dir selbst ein Bild, ob ich das Deiner Meinung nach mit diesem Pappschild ansatzweise geschafft habe. ;)

 

 

Oft ist mir zudem die Klimawandeldebatte etwas zu einseitig. Warum, möchte ich nur kurz anreißen und ich spreche hier allgemein, anstatt mich konkret auf die Demo in Fritzlar und deren Inhalte zu beziehen:  In der Klimadebatte bzw. der ökologischen Debatte erlebe ich oft eine einseitige Beschränkung politisch Aktiver auf den Treibhausgasausstoß als DAS Problem. CO2 in aller Munde – der Rest fällt eher unter den Tisch. Ich meine eine Ahnung zu haben, welche gesellschaftlichen Mechanismen dahinter stecken, aber das würde jetzt den Rahmen sprengen. Auch gibt es bei Demos oft ein Schwarz-Weiß: Die, die demonstrieren, sind die Guten, die Politiker*innen und vielleicht sogar kopfschüttelnde Passant*innen, sind die Bösen. Ich weise darauf hin, weil ich mein Bestes tue, um aus der Kriegs- und Feindbildlogik herauszuwachsen. Ich sehe und spüre trotzdem, dass ein Protest nach wie vor „wuchtiger“ ist, wenn er laut und mit „kämpferisch-erregter Grundhaltung“ begangen wird. Nichtsdestotrotz bin ich natürlich jeder Person dankbar, die solche Demos organisiert, Reden hält, Widerstand leistet, informiert, hre Stimme zeigt usw…Wir brauchen das!!! Ich frage mich nur, inwiefern Protest ohne Feindbilder auskommen könnte, die potentiell Spaltungen eher zementieren, statt Verbindung zu schaffen. Meiner Meinung nach, hängt alles mit allem zusammen und wir tragen alle unseren Teil zur aktuellen Lage in Welt und Gesellschaft bei. Kurzum, ich interessiere und beschäftige mich mit sehr komplexen Zusammenhängen und versuche Geschehnisse so mehrdimensional wie möglich zu betrachten. Sicherlich scheitere ich dabei auch oft, nehme mich selbst zu wichtig oder interpretiere falsch.

 

 

 

Wahrnehmung                                                                     

 

Ich merke ich könnte zu jedem der letzten Sätze einen eigenen Artikel schreiben. Nun begrenze ich mich lieber, indem ich zum konkreten Ereignis zurückkehre und mit Dir teile, was ich wahrgenommen habe – innerhalb und außerhalb meiner Selbst. Denn meine Wahrheit beruht auf meiner Wahrnehmung und in diesen paar Stunden habe ich viel erlebt. Zuerst zu mir: Auf der ganzen Fahrradstrecke war ich eine Grinsebacke; ich konnte einfach nicht aufhören zu grinsen. Vermutlich weil ich mich so sehr darüber freute, gemeinsam mit anderen Menschen auf dem Land auch mal für Aufruhr zu sorgen;  in der Menge natürlich auch das Team vom Biohof zwei Dörfer weiter entdeckte, deren Gemüse ich einen Tag vorher im Hofladen gekauft und mich auch darüber gefreut hatte; und auch, weil mein Vater teilnahm, der mir später erzählte, es sei wohl die 2. Demo seines Lebens gewesen. In Fritzlar war ich dann mit der inneren Einstellung präsent, nicht zu urteilen, egal was ich beobachte. Ich wollte mich von „eingeschriebenen“ Gedankengängen lösen, die ich oft, wenn ich sie gedacht habe, gar nicht als meine eigenen empfinde, sondern als ein Automatismus, entstanden durch Prägung und gesellschaftliche Narrative. So hege ich zum Beispiel weniger aggressive Gedanken, dafür verfalle ich aber gerne dem Zynismus. Ich glaube Zynismus ist ein oft gefühlter Gast auf solchen Demos. Ich spürte zwischenzeitlich meinen eigenen und wie er aufbegehren wollte und habe mich dann freundlich mit ihm unterhalten und ihm gesagt: Ich möchte mit offenem Herzen hier sein. So konnte ich mit ihm sein, jedoch ohne, dass er mich dominierte. Das erlaubte mir, mit einer Grundhaltung präsent zu sein, die mir Beobachtungen und damit einhergehende neugierige, unbeantwortete Fragen brachte.

 

So gab es zum Beispiel den jungen Mann in Handwerkerhosen, der zweimal während der Kundgebung auf dem Marktplatz an mir vorbeilief. Er schüttelte den Kopf und war in meinem Empfinden sichtlich ergriffen, gar verstört, zumindest (negativ) überrascht von den Geschehnissen. Ich spürte seine Ablehnung. Ich fragte mich, wie wohl sein Leben ist. Womit er sich beschäftigt und warum eine grüne Demo ihn erschüttert und dazu bringt, den Kopf zu schütteln.

 

Ich schaute in fast jedes Auto hinein, an dem ich vorbeifuhr oder ging. Dabei fiel mir auf, dass die Menschen hinter den Scheiben überwiegend zweier Verhaltenskategorien zuzuordnen waren: Entweder sie lächelten und waren positiv bewegt von der Situation oder sie äußerten sich genervt. Dieses Genervt Sein, war für mich zugleich ein außerordentlich leeres Genervt Sein. Ich frage mich, was sich hinter dieser gleichgültigen Kühle versteckte, die (demonstrativ?) zur Schau getragen wurde. Ob es wirklich daher rührte, dass sie sauer auf „die Ökos“ waren, die ihnen eine verspätete Ankunft an ihrer jeweiligen Destination bescherten, oder ob diese Gesichter programmierte Reaktionen unseres Gehirns sind. Denn: Ich erlebe eine Situation, die überraschend ist, die selten passiert – ergo weiß ich erstmal gar nicht, was ich davon halten oder wie ich damit umgehen soll – ergo ist das Mittel der Wahl: Pokerface. Beziehungsweise im Kontext „Autofahren“ ein lange trainiertes „Staugesicht“, eingeübt in zig Baustellen, an roten Ampeln, im Feierabendverkehr. Das Staugesicht verrät erstmal nichts darüber, was innerlich wirklich in mir abgeht, wenn ich die Demonstrierenden sehe. Es hilft mir vielleicht auch, das erst gar nicht an mich ranzulassen, denn dann kann ich mich einfach weiter damit befassen, sauer über die kurze Verzögerung auf meiner Fahrt zu sein. Natürlich gibt es auch das direkte Urteil samt Statement: Ein Autofahrer zeigte mir etwa den Daumen nach unten. Ich antwortete auf seine Geste mit einer Kusshand – teils war das sicherlich provokant von mir, teils wollte ich allen erzürnten Gemütern innerlich aber auch „Liebe“ zurufen. Aus meiner Perspektive kann ich sagen: Was macht es schon, auf der Bundesstraße 10min aufgehalten zu werden? Aus anderer Perspektive sind 10min im gehetzten, leistungsgetriebenen und mit „wichtigen Terminen“ gefüllten Alltag ganz andere subjektiv erlebte 10min. Um das Thema Autofahren abzuhaken gab es auch noch Begegnungen, die ich feierte. So zum Beispiel die Unterstützung einer Autofahrerin, die bewusst noch etwas länger stehen blieb, obwohl sie schon hätte weiterfahren können und damit wartete, bis die Person aus dem Auto hinter ihr ausstieg und an ihr Fenster klopfte. Es gab die Person, die in der Stadt den Motor ausschaltete und dafür nach oben gerichtete Daumen und Klatschen der Demonstrierenden erntete. Es gab den Polizisten, der uns begleitet hatte, kurz vorm Marktplatz dann ans Auto gelehnt dastand und von den Vorbeifahrenden lächelnd zahlreiche „Dankeschöns“ entgegennahm. Wie schön!

 

 

Einerseits war es etwas schade, dass beim Umzug in der Innenstadt nicht viele Passant*innen zugegen waren. Andererseits ermöglichte es mir, sehr geschärfte, zielgerichtete Blicke zu die Personen zu richten, die eben da waren. Wie z.B. zu den Jugendlichen an der Bushaltestelle, zu der auf ihren Stock gestützten alten Dame hinter den Fenstern des Altenheims, der Frau die ihren Kopf aus dem Fenster streckte  oder die vor ihrem Laden stehenden Einzelhändler*innen. Viel geschah über Blickkontakt, manches auch über Worte: Ein Mann entfernte sich hinter mir vom vollen Marktplatz und wetterte lautstark, dass manche der Demonstrierenden ein E-Bike besaßen: „Denen sollte man den Strom abstellen.“ Da ist er wieder: Der Zynismus in seiner vollen Blüte. Sorry Zynismus, aber manchmal bist du so bizarr, dass ich nichts Anderes kann als über dich zu lachen!

 

Die für mich intensivste Begegnung war die mit einem Passanten, der mein Schild sah, das ich in dem Moment vor dem Körper hielt. Er, ein großer älterer Mann, blieb dann unmittelbar vor mir stehen und las es sich offenkundig vollständig und bewusst durch. Ich wurde nervös und versuchte mich auf alles einzustellen: Erneuten Zynismus, Anschuldigung, Aggression, Meckern, Augenrollen….nichts davon geschah. Er sah mir kurz in die Augen, ich in seine. Dann nickte er, dann nickte ich und er ging weiter. Das hat mich nachhaltig bewegt und auch mein Vater, der neben mir gestanden hatte, erinnerte sich an den Moment. Ich weiß jetzt trotzdem nicht, was der Mensch von meinen Worten genau hielt und ob er sie so interpretierte, wie ich sie gelesen haben wollte. Aber es hatte respektvoller Kontakt stattgefunden. Das nehme ich als positive Erinnerung mit.

 

Fazit

 

Und jetzt sag noch jemensch auf einer Demo mit nur 280 Leuten und einer kaum bevölkerten Innenstadt passiert nicht so viel…

 

Meiner Meinung nach ist richtig viel passiert. So viel, dass ich „Schreibdruck“ hatte und mich trotz Sonnenschein heute am Morgen sofort vor den Bildschirm klemmte. Ich danke dem Moment und den daran beteiligten Menschen für das denk- und fühlwürdige Erlebnis, das sie mir bescherten. Vielleicht finde ich nun öfter wieder meinen Weg zu Demonstrationen, wohl wissend, dass meine Schwerpunkte im Tätigsein für die Welt und die Menschen woanders liegen.      

 

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